29. April 2014
http://epaper.neues-deutschland.de/eweb/nd/2014/04/28/a/1/813572/
STANDPUNKT
Kostümverleih
Jürgen Reents zur »Geiselnahme von OSZE-Beobachtern«
Würde man eine Reise von einem Dutzend offizieller Vertreter aus – zum Beispiel – China, Kuba, Bolivien, Armenien und Belarus nach Venezuela bedenkenlos eine UN-Mission nennen? Wohl kaum, obwohl alle genannten Staaten den Vereinten Nationen angehören. Die im ost-ukrainischen Slawjansk (bei Redaktionsschluss noch) von den dortigen Aufständischen festgehaltenen Militärs aus Deutschland, Tschechien, Schweden, Dänemark und Polen laufen jedoch unbeirrt als »OSZE-Beobachter« durch die Nachrichten, obwohl die OSZE klar gestellt hat, dass es sich nicht um solche handelt, sondern um Militärbeobachter, die lediglich »aus OSZE-Staaten entsandt« wurden. Ohne Zweifel: Ihre Gefangennahme ist nicht weniger schwerwiegend, solange die Aufständischen ihren Vorwurf, sie seien bewaffnet zu Spionagezwecken nach Slawjansk vorgedrungen, nicht stichhaltig beweisen. Doch die wahrheitswidrige Kostümierung der unter Kommando der Bundeswehr und auf Einladung der Zentralregierung in Kiew Reisenden umgibt die Angelegenheit mit einem merkwürdigen Geruch: Was war der Zweck dieses nicht OSZE-mandatierten Aufbruchs in die Ost-Ukraine gerade zu einer Zeit, in der politische Vernunft dazu raten sollte, sich von jedem Anlass und jedem Vorwand für eine weitere Eskalation fernzuhalten? Gab es hier ein anderes Kalkül als das der politischen Vernunft? Die Wahrheiten in diesem Konflikt sind nicht nackt und der Kostümverleih in der Region hat offenbar allseits einen Aufschwung. »OSZE-Beobachter als Geiseln«, das ist Propagandastoff für alle, die Krieg nicht bedingungslos ausschließen.
http://epaper.neues-deutschland.de/eweb/nd/2014/04/28/a/2/813586/
Nervenkrieg um Militärbeobachter
Die OSZE ist mit vielfältigen Missionen in der Ukraine vertreten / Festgesetzte ohne Mandat aller Mitgliedstaaten
Der Konflikt um die festgesetzten Militärbeobachter in der Ukraine dauert an. Auch Bundeswehroffiziere wurden am Sonntag in Slawjansk der Presse vorgeführt.
Von Olaf Standke
Vor einigen Tagen lobte der Ukraine-Sonderbeauftragte der OSZE, Tim Guldimann, noch, dass es trotz aller Probleme vor allem im Ostteil des Krisenstaates diplomatische Fortschritte gebe. Nun steht die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Mittelpunkt eines eskalationsträchtigen Nervenkriegs. Am Sonntag haben prorussische Milizionäre unter der Leitung des selbst ernannten Bürgermeisters von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, auf einer Pressekonferenz im Rathaus der ostukrainischen Stadt mehrere festgesetzte »OSZE-Beobachter« präsentiert. Sie waren am Freitag zusammen mit vier oder fünf ukrainischen Offizieren gefangen genommen worden. Zur Gruppe gehören neben Mitgliedern aus Polen, Dänemark, Tschechien und Schweden auch vier Deutsche – drei Bundeswehrangehörige und ein Dolmetscher. Die Aufständischen, die ihren Bus nahe Slawjansk gestoppt hatten, werfen ihnen vor, »keine Genehmigung für ihre angebliche Beobachtermission« gehabt zu haben. Es bestehe der Verdacht, dass sie NATO-Spione seien, erklärte Ponomarjow und verwies auf verdächtige Karten, auf denen Straßensperren der prorussischen Milizen aufgeführt sind.
Nach Angaben von Claus Neukirch, Vizechef des OSZE-Krisenpräventionszentrums, gehört die Gruppe tatsächlich nicht zur zivilen Beobachtermission (Special Monitoring Mission), die wegen der Krise Ende März in die Ukraine entsandt worden ist. Diese besitzt das Mandat aller 57 OSZE-Staaten; auch Russland hat zugestimmt. Zurzeit sind etwa 140 Beobachter unterwegs, die unparteiisch Fakten zur Sicherheitslage sammeln, den Schutz von Minderheiten beurteilen und bei Spannungen Lösungen aufzeigen sollen. Die mit der Landessprache vertrauten OSZE-Vertreter nehmen dabei offiziell Kontakt mit Bürgern und Behördenvertretern auf. Wobei durchaus ehemalige Soldaten und Polizisten als zivile Beobachter eingesetzt werden können.
Schuldfragen interessierten bei solchen Missionen nicht, heißt es in der OSZE-Zentrale in Wien. Insgesamt führt die Organisation zur Zeit 15 solcher »Feldeinsätze« durch, der größte findet in Kosovo statt. Nationale OSZE-Büros werden in der Regel von Diplomaten geleitet und im Konsens mit dem Gastland eingerichtet. Die Gruppe in der Ukraine könnte sogar auf 500 Beobachter aufgestockt werden. Doch ist die Ausweitung auch eine Kostenfrage. So sei noch nicht einmal die Finanzierung des bisherigen Einsatzes geklärt, monierte dieser Tage der Leiter der Mission, Adam Kobieracki.
Daneben hat die OSZE bereits 100 Wahlbeobachter zur Überwachung der am 25. Mai geplanten Präsidentschaftswahlen entsandt. Ihre Zahl wird rund um den Wahltag um weitere 900 wachsen. Wahlbeobachtung gehört zu den Kernaufgaben der Organisation, so wie der Schutz von Menschenrechten und Minderheiten. In Kiew wurde ein Nationales Dialogprojekt installiert, ein Sondervorhaben des OSZE-Projektbüros in der Hauptstadt in Zusammenarbeit mit dem Wiener Generalsekretariat. 15 Experten erkunden die Lage speziell mit Blick auf die Minderheiten im Land. Zugleich hat das OSZE-Menschenrechtsbüro auf Einladung der Ukraine 20 Experten entsandt, um die dortigen Behörden zu beraten.
Und was ist mit den »Kriegsgefangenen« (O-Ton Ponomarjow), die am Sonntag in Slawjansk vorgeführt wurden? Sie seien Offiziere im Dienste der OSZE mit »diplomatischem Status«, erklärte ihr Sprecher, Bundeswehroberst Axel Schneider. Grundlage ihres Einsatzes ist das »Wiener Dokument 2011 der Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen«. Inspektionen teilnehmender Staaten in diesem Rahmen dienten laut Auswärtigem Amt in Berlin dem Informationsaustausch über Verteidigungspolitik, Streitkräfteplanung und Militärhaushalte, wozu Gliederung, Stationierung, Personal und Hauptwaffensysteme der Truppen gehören. Solche Informationen können auch »vor Ort verifiziert werden«. Bei den Festgesetzten handelt es sich also um ein sogenanntes Military Verification Team, das nicht das breite Mandat einer OSZE-Mission besitzt, sondern unter Mitgliedstaaten bilateral vereinbart wird.
Warum aber schickt man ausgerechnet jetzt ein solches fast vollständig aus Vertretern von NATO-Staaten bestehendes Team in eine aufgeheizte Konfliktregion, in der man der beaufsichtigenden Kiewer Zentralregierung zudem die Legitimation abspricht? Transparenz und Vertrauen sollten die Beobachter schaffen, so Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Warum sei dieser Einsatz dann in der Region nicht abgestimmt worden, fragt nicht nur das Moskauer Außenministerium.
Die Bundesregierung habe mit der Entsendung der Gruppe unklug und »zutiefst unprofessionell« gehandelt, kritisierte der Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss des Bundestages, Alexander S. Neu. Die nur zwischen Berlin und Kiew vereinbarte »Verifikationsoperation« erweise der eigentlichen, diplomatischen OSZE-Mission einen Bärendienst. Am Sonntag wurde bereits ein Team zeitweilig in Jenakijewo festgehalten.
Bundesregierung, Bundespräsident und die OSZE forderten die sofortige Freilassung der Gruppe. Wie Wjatscheslaw Ponomarjow, der einen »Gefangenenaustausch« anstrebt, mitteilte, stehe er mit OSZE-Unterhändlern im Kontakt. Am Abend wurde auch OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier in Kiew erwartet. Wie Kiews Außenminister Andrej Deschtschiza twitterte, bleibe die Situation kompliziert.
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