Leningrader Blockade und die deutsche Bundesregierung – Aus der Pressekonferenz des Außenministers der Russischen Föderation Sergej Lawrow, 18. Januar 2024

Frage: In diesem Jahr jährt sich der Durchbruch der Leningrader Blockade, einer der schwersten und tragischsten Phasen des Zweiten Weltkriegs, zum 80. Mal. Russland war stets darauf bedacht, alles Mögliche zu tun, um ausnahmslos alle Blockadeopfer zu unterstützen. Die Rossijskaja Gazeta hat neulich berichtet, dass anlässlich dieses Jahrestages über 50.000 Menschen, die auch in den EU-Ländern leben, Geldleistungen bekommen hätten.

Bei individuellen Entschädigungsleistungen praktiziert Deutschlands weiterhin Doppelstandards. Unter vorgeschobenen Vorwänden beschränkt die Bundesrepublik die Zahlungen nur auf jüdische Blockadeopfer, die selbstverständlich völligen Anspruch darauf haben. Über viele Jahre weigert sich Berlin jedoch diese Leistungen auf andere überlebende Verteidiger und Einwohner der Stadt auszudehnen. Wie können sie das kommentieren?

Sergej Lawrow: Mit diesem Thema beschäftigen wir uns seit vielen langen Jahren. Als Berlin mit der Zahlung der einmaligen Entschädigungsleistungen an jüdische Blockadeüberlebende begonnen hat, war es für uns klar, dass es nicht gerecht ist. Wir haben unsere deutschen Kollegen explizit darauf hingewiesen.

Bundesaußenminister war damals der jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Wir beide haben diese Frage mehrmals erörtert. Ich habe versucht, ihm klarzumachen, dass Menschen unabhängig von ihrer Nationalität starben und einander unterstützten. Es waren Russen, Tataren, Juden, zahlreiche Vertreterverschiedener Völker. Als Antwort kam dann: Jüdische Überlebende bekämen Entschädigungen, weil es ein Gesetz gebe, das Holocaust-Überlebende zu diesen Entschädigungen berechtigt. Und der Rest, der in Leningrad starb, seien keine Holocaustopfer.

Dass diese Fragestellung absurd ist, liegt auf der Hand. Ich habe versucht ihm zu erklären, dass die Leningrader Blockade ein beispielloses Ereignis des Zweiten Weltkrieges und des Großen Vaterländischen Krieges war. Es gab doch keinen Unterschied zwischen denen, die ums Überleben kämpften, Katzen aßen, Schuhe kochten und andere zu Grabe trugen. Wir wollten den Deutschen ins Gewissen reden. Das ist uns misslungen. Als Reaktion haben wir bloß gehört: Dadas Holocaust-Gesetz Zahlungen möglich mache, würde man zahlen. Wenn jemand, der nicht unter Holocaust-Opfer falle, diese Zahlungen bekäme, würde es ähnliche Anträge geradezu hageln. Ich habe ihm vorgeschlagen, ein Sondergesetz zu Blockadeopfern zu erarbeiten, um hier Eindeutigkeit zu schaffen.  Niemand hätte da Bedenken gehabt. Auch das wurde abgelehnt.

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