Während die Proteste von Gilet Jaunes unvermindert weitergehen , unterstützt eine Gruppe von mehreren Persönlichkeiten aus der Kultur die Bewegung. In einem von Libération veröffentlichten Text begrüßen Juliette Binoche, Emmanuelle Béart, die Filmemacher Robert Guédiguian und Laurent Cantet und insbesondere der Schriftsteller Edouard Louis eine Bewegung, die „beispiellos in der Geschichte“ ist.
Diese Persönlichkeiten protestieren vor allem gegen die Haltung der Regierung. In ihrem Artikel mit dem Titel „Wir sind nicht täuschen“ denunzieren „abgenutzte Saiten übermäßig die gelbe Jacken zu diskreditieren, beschrieben als anti-Umweltschützer, Extremisten, Rassisten, Schläger …“ Ein möglicher Hinweis auf den Satz des Ministers Christophe Castaner, viel kritisiert als „Angriff“ das Eindringen von Demonstranten in das Pitié-Salpêtrière-Krankenhaus beschrieben zu haben.
„Wir sind empört über die Unterdrückung, Manipulation und Verantwortungslosigkeit dieser Regierung in einem so entscheidenden Moment in unserer Geschichte“, betonen sie. Diese Künstler fordern nach wie vor, „gemeinsam der ökologischen Krise zu begegnen und gerechte und wirksame Lösungen zu finden, um unseren Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen“.
Französische Kulturschaffende stellen sich hinter die Gelbwesten, die man mit Gewaltvorwürfen auszuschalten versucht.
Die Präsenz der Polizeikräfte im französischen Alltag und ihre „präventiven Kontrollen“ bestimmen das Straßenbild. Das führt in Paris und anderen Großstädten zur teilweisen Lahmlegung des Verkehrs, Schließung von Kulturstätten und öffentlichen Gebäuden an Samstagen, zu einer leergefegten Champs Elysees. Die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit der Bürger wird den Gelben Westen zur Last gelegt; unter den Teppich gekehrt wird in den Massenmedien und in offiziellen Verlautbarungen von Regierungsmitgliedern, dass die Demonstranten geprügelt und mit Tränengas verfolgt werden. Und doch planen die Gelbwesten für den 11. Mai ihren 25. Aktionstag. Denn die Ankündigungen von Präsident Macron ändern nichts am Abbau sozialer Rechte und Freiheitsrechte. Die Proteste haben längst breite Kreise des progressiven Bürgertums erreicht. „Wir lassen uns nicht täuschen“, so heißt ein Aufruf von rund 1.500 Künstlern und Kulturschaffenden. Sie erklären sich mit den Gelben Westen solidarisch. Zu den Unterzeichnern gehören die Schauspielerinnen Juliette Binoche, Emmanuelle Béart und Jeanne Balibar ebenso wie der Schriftsteller Edouard Louis. Hier veröffentlichen wir ihn auf Deutsch (1).
Aufruf der Künstler und Kulturschaffenden
Seit mehreren Monaten schon geht die Bewegung der Gelbwesten auf unsere Straßen — derartiges ist in der Geschichte der Fünften Republik noch nie vorgekommen.
Eine Bürgerbewegung, die spontan entstand und unabhängig von allen Parteien ist.
Eine Bewegung, die seit über sechs Monaten Zehntausende Franzosen Samstag für Samstag mobilisiert und die von Millionen Menschen unterstützt wird.
Eine Bewegung, die Wesentliches fordert: eine direktere Demokratie, mehr soziale und steuerliche Gerechtigkeit, radikalere Maßnahmen angesichts des ökologischen Notstandes.
Was sie fordern, fordern sie für alle. Die Gelbwesten, das sind wir. Wir Künstler, Techniker, Autoren, wir Kulturschaffenden, prekär beschäftigt oder nicht, sind von dieser historischen Mobilisierung zutiefst betroffen.
Und wir verkünden hier: Wir lassen uns nicht täuschen.
Wir sehen doch, mit welch völlig abgenutzten Methoden die Gelbwesten diskreditiert werden sollen, um sie als Anti-Umweltschützer darzustellen, als Extremisten, Rassisten, Randalierer… Doch die Masche geht nicht auf, diese Darstellung hat nichts mit der Realität zu tun, auch wenn die Massenmedien und Sprachrohre der Regierung uns das gerne glauben machen möchten.
Genauso wie diese Gewalt, die sie Samstag für Samstag hervorheben.
Doch das ist nicht die bedrohlichste Gewalt.
Die Bilanz der Repression wird Woche für Woche erdrückender. Bis zum 19. April 2019 zählte man unter den Demonstranten eine Tote, 248 Menschen mit Kopfverletzungen, 23 Menschen, die ein Auge verloren haben, 5 mit abgerissenen Händen. Das ist unserer Republik unwürdig.
Und wir sind nicht die ersten, die das anprangern: Amnesty International, die Menschenrechtsliga, die UNO, die EU, die Menschenrechts-Organisation „Défenseur des Droits“ — sie alle verurteilen die Polizeigewalt gegen die Gelbwesten in Frankreich.
Die Zahl der Verwundeten, derjenigen, deren Leben zerstört wurde, die Zahl der Verhaftungen und der Verurteilungen ist einfach unvorstellbar. Angesichts einer derartigen Repression — wie können wir da unser Demonstrationsrecht überhaupt noch wahrnehmen? Die Einführung eines angeblich „gegen Randalierer“ gerichteten rechtliche Instrumentariums, das unsere Grundfreiheiten missachtet, ist durch nichts zu rechtfertigen.
Wir lassen uns nicht täuschen. Die bedrohlichste Gewalt ist die ökonomische und soziale Gewalt. Es ist die Gewalt dieser Regierung, die sich für die Interessen einiger weniger zum Nachteil aller einsetzt. Es ist die Gewalt, die diejenigen körperlich und seelisch zeichnet, die sich kaputt arbeiten, um zu überleben.
Auch müssen wir — und das ist von historischer Dringlichkeit — die ökologische Krise gemeinsam angehen und gerechte und effiziente Lösungen finden, damit wir unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen. Wir lassen uns nicht täuschen. Diese Regierung vermeidet beharrlich dieses Thema, um die für die angekündigte Katastrophe Verantwortlichen nicht zu beunruhigen. Die Gelbwesten prangern das an, genauso wie die Umweltaktivisten. Die sozialen Kämpfe und die ökologischen Kämpfe sind dabei sich anzunähern.
Wir werden uns weiterhin empören, immer stärker, immer öfter, und mit immer vereinteren Kräften.
Und heute rufen wir dazu auf, eine neue Geschichte zu schreiben.
Wir Schriftsteller, Musiker, Regisseure, Herausgeber, Bildhauer, Fotografen, Ton-und Bildtechniker, Drehbuchautoren, Choreografen, Zeichner, Maler, Zirkusartisten, Schauspieler, Tänzer, Kunstschaffende aller Art sind empört über die Repression, die Manipulation und die Verantwortungslosigkeit dieser Regierung in einem Schlüsselmoment unserer Geschichte.
Lasst uns unsere Macht nutzen, die Macht der Worte, der Musik, der Bilder, der Gedanken, der Kunst, um eine neue Darstellung zu entwerfen und diejenigen zu unterstützen, die seit Monaten auf der Straße und an den Kreisverkehren kämpfen.
Nichts ist in Stein gemeißelt. Lasst uns eine bessere Welt entwerfen.
A dream you dream alone is only a dream.
A dream you dream together is reality.
John Lennon