Agent enttarnt, Kernfrage geklärt Enthüllungsbericht im Fall Amri: V-Mann leitete Attentäter an (junge Welt)

Der Begriff »Verschwörungstheorie« wird demnächst einen anderen Beiklang bekommen: Eine Recherchegruppe des Rundfunks Berlin Brandenburg und der Berliner Morgenpost hat die Involvierung bundesrepublikanischer Behörden in das Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz verifiziert. Ein V-Mann des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts (LKA) hat religiöse Fanatiker zu Anschlägen auf Bundesgebiet animiert. Die beiden reisten gemeinsam herum, pflegten intensiven Kontakt – bishin dazu, dass der V-Mann den Tipp gegeben haben soll, seinen Bart abzurasieren, um nicht als möglicher Islamist aufzufallen.

Die laut interner Akten mit VP-01 bezeichnete »Vertrauensperson«, ein anderes Wort für Geheimagent, hat zu mehreren Mitgliedern der islamistischen Abu-Walaa-Gruppe Kontakt gehalten und laut eines Zeugen einen Anschlag »mit einem Lkw« angeregt. Unter den Männern, die sich darauf vorbereiteten, als Soldaten für den »Islamischen Staat« in Syrien zu kämpfen, habe der V-Mann des LKA gesagt: »Komm, du hast eh keinen Pass, mach hier was, mach einen Anschlag.«

Ein Frankfurter Rechtsanwalt bezeugt demnach, der V-Mann habe Sätze gesagt, wie: »Lasst uns diese Ungläubigen töten, wir brauchen gute Männer, damit wir hier in Deutschland Anschläge verüben können.« Der Agent soll mehrfach mit Amri längere Strecken im Auto gefahren sein – junge Weltberichtete frühzeitig über die gemeinsame Fahrt nach Berlin im Wagen des V-Manns.

Laut dem rbb gab es interne Hinweise auf das Verhalten der Vertrauensperson und entsprechende Aktenvermerke – neben der Anzahl an Hinweisen, die den Ämtern in Berlin und Düsseldorf bereits vorlagen. Sonderermittler Bruno Jost hatte zuletzt einen 72seitigen Bericht über das Versagen der Behörden im Fall Amri vorgelegt. Nach den neurlichen Enthüllungen verweigerte das LKA Nordrhein-Westfalen die Auskunft mit Verweis auf laufende Gerichtsverfahren.
Politiker mehrerer Parteien hatten wegen des Falls Amri zuletzt Maßnahmen zur Zentralisierung und Bündelung der »Gefahrenabwehr« gefordert. Die SPD-Innenexpertin Eva Högl etwa hatte nach dem Jost-Bericht im dlf erklärt, es sei eine »bittere Erkenntnis, dass die Sicherheitsbehörden nicht ausreichend zusammenarbeiten, wenn Attentäter die Bundesländergrenzen überschreiten«. CDU- und AfD-Politiker überboten sich mit Vorschlägen für neue Maßnahmepakete gegenseitig.

Nun wird deutlich, dass sich eine Kernfrage zu klären scheint: Es ist immer unwahrscheinlicher, dass es sich um Fehler, Unachtsamkeiten oder Verkettungen unglücklicher Verhaltensweisen innerhalb der BRD-Behörden handelt. Die Tätigkeit des V-Manns und sein vehementes Hinwirken auf die Ausübung von Terroranschlägen waren innerhalb der Behörden bekannt und sogar vermerkt. Dass ganze Abteilungen, die dazu teils untereinander vernetzt gewesen sein müssen, im Hintergrund stehen müssten, wird den Blick auf Terroranschläge und den »Krieg gegen den Terror« weltweit verändern.

Anis Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Lkw auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin gelenkt, 12 Menschen getötet und 70 weitere verletzt. Auf seiner Flucht wurde er von italienischen Sicherheitskräften erschossen.

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