19. Juni 2014
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19.06.2014 / Medien / Seite 15Inhalt
»Kein Sprachrohr des Kremls«
Publizistische Offensive Rußlands: Rossiya Segodnya soll westlichen Nachrichtenagenturen Konkurrenz machen.
Ein Gespräch mit Dmitri Tultschinski
Interview: Peter Wolter
Dmitri Tultschinski ist Leiter des Deutschland-Büros der russischen Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya
Sie leiten das Deutschlandbüro der neuen russischen Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya. Wie muß man sich deren Angebot vorstellen?
Die Gründung wurde im Dezember beschlossen, Rossiya Segodnya setzt im Wesentlichen die Arbeit der Agentur Ria Nowosti fort, die schon seit Jahren sehr gut im Medienmarkt verankert ist. Es gibt in meinem Land natürlich noch Konkurrenzunternehmen wie Interfax oder Itar Tass. Der bisherige Auslandsrundfunk Rußland heute geht ebenfalls in Rossiya Segodnya auf.
Ria Nowosti berichtet nicht nur über Ereignisse in Rußland selbst, sondern auch über das Ausland – wobei natürlich der russische Standpunkt dazu zur Geltung kommt. Das wird auch die Hauptaufgabe von Rossiya Segodnya sein – es geht darum, der internationalen Öffentlichkeit ein realistisches Bild Rußlands zu vermitteln.
Wie muß man sich das Auftreten von Rossiya Segodnya auf dem internationalen Medienmarkt vorstellen? Wollen Sie den seit Jahrzehnten eingespielten Weltagenturen wie Reuters, Associated Press, Agence France Press oder dpa Konkurrenz machen?
Das ist unser Ziel. Die konkreten Schritte zum Aufbau des Netzes von Rossiya Segodnya werden zur Zeit geplant. Wir müssen natürlich immer im Auge behalten, daß wir eine russische Agentur sind, daß sich also das Interesse unserer Kunden vor allem auf die Ereignisse in meinem Lande bezieht.
Um mit Agenturen wie Reuters konkurrieren zu können, braucht man aber Büros in den wichtigsten Hauptstädten, Dutzende erfahrene Korrespondenten, Nachrichtenleitungen etc. Das alles kostet enorm viel Geld …
Das ist richtig, all das ist auch vorgesehen, wie ich von unserer neuen Leitung erfahren habe. Wir werden sehen, was sie auf die Beine stellt und wieviel Geld sie dafür zur Verfügung hat.
Kurz zum Spektrum Ihres Angebotes: Sie bieten also Nachrichten und Berichte an – welche Rolle spielen Hörfunk und Videoangebote?
Natürlich werden wir die gesamte mediale Vielfalt nutzen, die Stimme Rußlands gehört ja ohnehin zu unserer Medienholding. Auf deren Website wird auch audiovisuelles Material angeboten – nicht nur auf deutsch, sondern auch in 13 weiteren Fremdsprachen.
Wann soll Rossiya Segodnya in Deutschland die Arbeit aufnehmen?
Nach jetzigem Stand gegen Ende des Jahres.
Spiegel online und andere meinungsbildende Medien sehen die Gründung von Rossiya Segodnya lediglich als neuen Propagandatrick von Präsident Wladimir Putin. Was sagen Sie dazu ?
Einem solchen Vorwurf können wir am besten den Wind aus den Segeln nehmen, indem wir in unserer Berichterstattung die ganze Vielfalt Rußlands und der Meinungen dazu widerspiegeln. Es ist ja kein Geheimnis, daß wir eine staatliche Medienholding sind – das ändert aber nichts daran, daß die Redaktion unabhängig und nach journalistischen Kriterien ihre Entscheidungen trifft. Wir sind alles andere als ein Sprachrohr des Kremls.
Wie ist in Deutschland der Ausbau geplant? Sollen Regional-Büros in wichtigen Städten entstehen?
Das ist eine der Enscheidungen, die noch nicht gefallen sind. Das wäre ein Riesenaufwand – wenn wir uns den überhaupt leisten, wird es bestimmt nicht in der Anfangsphase sein. Wir werden also erst einmal in einem großen Büro von Berlin aus arbeiten. Dessen Aufgabe wird es nicht nur sein, Informationen zu sammeln, sondern sie auch zu verbreiten. Es wird also auch eine Art Verkaufsabteilung geben, die die Kontakte zu unseren Medienkunden pflegt.
Wir haben auch vor, »Videobrücken« einzurichten, über die Experten aus Deutschland und Rußland frei und live über ein aktuelles Thema diskutieren. Die jeweilige Aufzeichnung soll ohne jede Kürzung ins Netz gestellt werden.
Gehört der Fernsehsender Russia Today auch zu Ihrer Mediengruppe?
Russia Today ist autonom, das wird wahrscheinlich auch erst einmal so bleiben.
Natürlich kann ich nicht für diesen Sender sprechen, aber meines Wissens wird überlegt, neben der englisch- und der arabischsprachigen Abteilung auch einen Kanal für das deutsche Publikum anzubieten.
In den Leserforen zu Berichten in Spiegel online, Stern online etc. gibt es jede Menge kritischer Kommentare zur Berichterstattung dieser Medien. Die Redaktionen haben sich jetzt mit dem Argument gewehrt, das seien zumeist Einträge russischer Studenten, die von Moskau bezahlt werden … Ist etwas dran an diesem Vorwurf?
Ich bin zwar schon seit vielen Jahren im Geschäft, aber von solchen Methoden habe ich noch nie gehört. Erstens wäre damit ein riesiger Aufwand verbunden und zweitens: Ich habe bei zahlreichen Diskussionen in Deutschland erlebt, daß viele Bürgerinnen und Bürger die Berichterstattung der Mainstream-Medien sehr kritisch sehen – die schreiben selber ihre Kommentare, da braucht es keine Säle voller Germanistikstudenten aus Moskau.
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