15. Juni 2014
http://www.jungewelt.de/2014/06-16/044.php
Zu wenig Waffen und immer stärkere islamistische Verbände: Offiziere der »Freien Syrischen Armee« geben auf. Präsident Assad verkündet Amnestie
Von Karin Leukefeld, Damaskus
Neun hochrangige Offiziere der »Freien Syrischen Armee«, die den Sturz von Präsident Baschar Al-Assad mit Waffengewalt herbeizuführen sucht, haben am Samstag ihren Dienst quittiert. Sie entschuldigten sich bei den Kämpfern für ihren Rückzug, mit dem sie ihre »Verantwortung als befehlshabende Offiziere an der Front und im Hohen Militärrat« abgäben, hieß es in einer Stellungnahme, über die AFP berichtete. »Der Hohe Militärrat spielt keine Rolle mehr«, zitierte die französische Nachrichtenagentur Majorleutnant Mohammed Abboud, einen der neun aufständischen Militärs. Die Staaten, die Waffen lieferten, hätten den Militärrat »völlig übergangen« und nur bestimmte Gruppen unterstützt. Waffen – darunter auch Panzerabwehrraketen – werden von NATO-Ländern, insbesondere aber von den Golfstaaten an die Kampfverbände in Syrien geschickt. Er bedanke sich bei denen, die geholfen hätten, sagte Abboud, doch »es war wirklich unzureichend und einfach zu wenig, um den Kampf zu gewinnen«. Sie hätten sowohl gegen die syrische Armee als auch gegen die Gruppierung »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (ISIL bzw. ISIS) gekämpft, so Abboud. Dennoch seien sie zu wenig unterstützt worden. Zuletzt hatte der ehemalige US-Botschafter in Syrien, Robert Ford, in einem Beitrag für die New York Times mehr und explizit moderne Boden-Luft-Raketen für die »moderaten Rebellen« in Syrien gefordert (siehe Spalte).
Verschiedene Kampfverbände der Assad-Gegner hatten in den vergangenen Monaten in Homs, in den Kalamon-Bergen und im Umland von Damaskus erhebliche Niederlagen eingesteckt. Nicht zuletzt unter dem Druck der Bevölkerung hatten sie lokalen Waffenstillständen zugestimmt.
Der Vormarsch von ISIL im Nachbarland Irak wird breit in der syrischen Bevölkerung diskutiert. Joseph B., ein ehemaliger Touristenführer, geht davon aus, daß der »Islamische Staat« von Saudi-Arabien und der Türkei, mit Zustimmung der USA, der EU und Israels, aufgebaut wurde. Ziel der Truppe sei es, den Iran in einen regionalen Krieg gegen Saudi-Arabien zu ziehen und damit nachhaltig zu schwächen. Der Westen wolle »von seiner Niederlage in Syrien ablenken und im Irak nun die bekämpfen, die in Syrien unterstützt haben«. Riad S., ein pensionierter Agrarwissenschaftler, sieht als weiteren Partner von ISIL in dem bereits genannten Staatenbündnis die kurdische Regionalregierung von Masud Barsani. Dafür spreche die Einnahme von Kirkuk durch kurdische Peschmerga unmittelbar nach der Einnahme von Mossul durch ISIL. Seit langem haben die nordirakischen Kurden ihren Anspruch auf die Ölmetropole erklärt, was von der Zentralregierung in Bagdad stets zurückgewiesen wurde. Für Syrien sei die Entwicklung extrem gefährlich, da Bagdad die syrische Armee mit Aufklärung und vereinzelt auch mit Kampfverbänden (Milizen) unterstützt. Die Rechtsanwältin Louiza H. ist überzeugt, daß in den Reihen von ISIL ausgebildete Kämpfer und »Blackwater«-Söldner kämpfen. Die private Sicherheitsfirma hatte nach der US-Invasion 2003 in den Irak zentrale Aufklärungs-, Schutz- und Verteidigungsaufgaben übernommen und dabei viele Iraker getötet. »Blackwater« wurde 2009 in »Xe Services« umbenannt und fungiert seit 2011 unter dem Namen »Academi«. Söldner der US-Firma sollen auch in der Ukraine auf Seiten der Kiewer Truppen aktiv sein.
Der wiedergewählte Präsident Baschar Al-Assad hat derweil in Syrien eine umfassende Amnestie für Gefangene erlassen. Todesstrafen werden demnach in lebenslanges Arbeitslager verwandelt. Lebenslanges Arbeitslager wird auf 20 Jahre verkürzt, ebenso lebenslange Haft. Gefangene, die unheilbar erkrankt sind, werden freigelassen, ebenso Gefangene über 70. Ausländer, die nach Syrien gekommen sind, um sich einer bewaffneten Gruppe anzuschließen, profitieren von der Amnestie, wenn sie sich innerhalb eines Monats den Behörden stellen. Fahnenflüchtige Soldaten werden ebenfalls amnestiert, wenn sie zurückkehren. Die im Ausland operierende oppositionelle »Nationale Koalition« wies die Amnestie als »Falle« zurück und warnte davor, sich den syrischen Behörden zu stellen.
Der ehemalige Präsident der »Nationalen Koalition« und frühere Prediger der Ommayyaden-Moschee in Damaskus, Mouaz Al-Khatib, warf in der vergangenen Woche am Rande des »US-amerikanisch-islamischen Weltforums« in Doha (Katar) den regionalen Staaten vor, den Krieg in Syrien zu verlängern. Al-Khatib, der heute als unabhängiger Oppositioneller aktiv ist, forderte direkte Gespräche mit der syrischen Regierung. Verhandlungen seien »eine Frage des Prinzips, nicht der Taktik«, sagte er dem Internetportal Al-Monitor. »Wir sollten nicht auf internationale Konferenzen warten, die (…) den Syrern die Zeit stehlen und das Blutvergießen verlängern.«
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